Beschäftigungspflicht

1. Rechtsgrundlagen

Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keine solche Arbeitgeberpflicht, der nach er die angebotene Arbeitskraft des Arbeitnehmers anzunehmen hat. Insofern besteht hierfür keine gesetzliche Regelung. Dennoch ist die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers und damit korrespondierend der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ein von der Rechtsprechung entwickelter und inzwischen allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz des Arbeitsvertragsrechts :

(Rechtsprechung: BAG 10.11.1955 - - 2 AZR 591/54, AP Nr. 2 zu § 611 BGB; BAG, Beschluss vom 27. 02. 1985 - GS 1 /84; BAG 29, 195, 208 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; LAG Düsseldorf, DB 1974, 2112; LAG Berlin, BB 1976, 1273; LAG Hamburg, DB 1977, 500; Literatur: Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 209; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 110; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 102 Rz 100; GK-Kraft, BetrVG, § 102 Rz 99; Heinze, Personalplanung, Einstellung und Kündigung, S. 237, Rz 600; Kammann/Hess/Schlochauer, BetrVG, § 102 Rz 153; KR-Etzel, 2. Aufl., § 102 BetrVG Rz 214; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 102 Rz 65; Griesam, Der Beschäftigungsanspruch im Arbeitsverhältnis, S. 111 ff., 119; Klebe/Schumann, Das Recht auf Beschäftigung im Kündigungsschutzprozeß, S. 190; Gumpert, BB 1972, 47, 50 Fn 8; Hanau, BB 1972, 451, 455; G. Hueck, in 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 243, 266; Mayer-Maly, DB 1979, 1601, 1603; Otto, RdA 1975, 68, 69; Schaub, NJW 1981, 1807, 1811; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 102 Rz 175; a. A.: Adomeit, DB 1971, 2360, 2363; Weber, BB 1974, 698, 702; Meisel, DB 1972, 1675, 1677).

 

2. Beschäftigungspflicht als arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitgebers

Umstritten ist nur die dogmatische Herleitung der Beschäftigungspflicht.

a). Beschäftigungspflicht als Nebenpflicht

Sie wird insbesondere durch die Rechtsprechung, aus dem allgemeinen

Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers als Nebenpflicht des Arbeitgebers hergeleitet.  Rechtsgrundlagen der Beschäftigungspflicht sind danach die §§ 611, 613 i.V.m. § 242 BGB unter

Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG über den Persönlichkeitsschutz

(erstmals: BAG 10.11.1955 AP Nr. 2 zu § 611 BGB)

b). Beschäftigungspflicht als Hauptpflicht (Schrifttum)

Nach einer in der Literatur teilweise vertretenen Auffassung ist der Beschäftigungsanspruch zu den bisherigen Vertragsbedingungen als rechtsfortbildende Konkretisierung der Hauptpflichten des Arbeitgebers einzuordnen.

Die Klassifizierung des Beschäftigungsanspruchs als Hauptpflicht sei schon deswegen naheliegend, weil die Beschäftigungspflicht die Kehrseite der Arbeitspflicht darstelle

(vgl. ErfKomm/Preis, § 611 BGB Rn. 826; Erman/Hanau, BGB, § 611 Rn. 353).

Unter Hinweis auf Parallelen zu den Abnahmepflichten des Käufers bzw. Bestellers nach den §§ 433 Abs. 2, 640 Abs. 1 BGB wird die Beschäftigungspflicht teilweise auch als Nebenpflicht angesehen

(so etwa Leßmann, RdA 1988, 149, 151).

Wegen ihrer engen Verbindung mit den vertraglichen Hauptleistungspflichten wird sie indes als wesentliche Nebenpflicht qualifiziert.

Angesichts des offenkundigen Zusammenspiels zwischen Arbeitspflicht auf der einen und Beschäftigungsanspruch auf der anderen Seite erscheint es jedoch konsequenter, von einer generellen Hauptpflicht des Arbeitgebers auszugehen.

Diese Ansicht wird außerdem dadurch gestützt, dass sich das mit der Arbeitspflicht verbundene Direktionsrecht zu einer Direktionspflicht verdichten kann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kraft seines Beschäftigungsanspruchs eine bestimmte Arbeit zuweisen muss. Dementsprechend ist auch die Ausübung des Direktionsrechts, mit dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine bestimmte Arbeit zuweist, vertragliche Hauptpflicht

(BAG 21.1.1993 AP Nr. 53 zu § 615 BGB).

 

c). Ergebnis

Das BAG hält an den Grundsatzurteilen

BAG vom 9.8.1984 - 2 AZR 374/83; BAG vom 21.3.1985 - 2 AZR 201/84)

fest, wonach auf die kalendermäßig bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers mit der Begründung abgestellt worden ist, der Arbeitgeber müsse dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und ihm Arbeit zuweisen. Die Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers besteht also darin, dem Arbeitnehmer überhaupt die Arbeitsmöglichkeit zu eröffnen, den Arbeitseinsatz fortlaufend zu planen und zu konkretisieren, mit anderen Worten, das Direktionsrecht, dem auch

eine entsprechende Pflicht korrespondiert, wahrzunehmen. Die so verstandene allgemeine Arbeitszuweisung ist eine dem Kalender synchron laufende Daueraufgabe

(BAG 21.1.1993 AP Nr. 53 zu § 615 BGB)

Somit gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug und ist zur Lohnzahlung nach § 615 BGB verpflichtet, wenn er das Direktionsrecht nicht oder nicht rechtzeitig ausübt.

 

3. Grenzen des Beschäftigungsanspruchs

Allerdings kann der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers eingeschränkt werden, wenn ihm überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, weil der allgemeine Beschäftigungsanspruch aus einer sich aus Treu und Glauben ergebenden Pflicht des Arbeitgebers herzuleiten ist. Der Arbeitgeber ist aber nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, die Interessen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf eigene überwiegende und schutzwerte Interessen zu fördern. Deshalb bedarf die Ablehnung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zu beschäftigen, einer Abwägung der beiderseitigen Interessen. Ziel dieser Abwägung kann nur sein, festzustellen, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung schutzwürdig ist und überwiegt.

 

 

a) überwiegende und schutzwerte Interessen des Arbeitgebers

Die Interessen des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung können schutzwürdig sein und, die Interessen des Arbeitnehmer an der Beschäftigung, überwiegen, etwa in den Fällen

  beim Wegfall der Vertrauensgrundlage,

  bei Auftragsmangel oder

  bei einem demnächst zur Konkurrenz abwandernden Arbeitnehmer

  aus Gründen der Wahrung von Betriebsgeheimnissen.

b) überwiegende und schutzwerte Interessen des Arbeitnehmers

Andererseits kann das Interesse auf Seiten des Arbeitnehmers aus folgenden Gründen überwiegen:

  das allgemeine ideelle Beschäftigungsinteresse,

  das allgemeine materielle Beschäftigungsinteresse,

  die Geltung in der Berufswelt,

  die betriebsspezifische Ausbildung und Fortbildung,

  die Erhaltung von vorhandenen Fachkenntnissen etc.

(BAG, Beschluss vom 27. 02. 1985 - GS 1 /84).